Das Zauberwunder, oder:
Ein Zauberlehrling allein zu Haus
„Oh ja“, rief der kleine Zauberer Mehmet vor Aufregung und sprang jubelnd in die
Luft: „Ja! Der Meister ist nicht da!“. Aus der alten, hölzernen Hütte hörte man schon von Ferne den aufgeregten, etwa 9-jährigen Zauberlehrling begeistert hüpfen. Erleichtert, dass der Meister
ihm endlich nicht mehr sagt, was er tun oder lassen soll, probierte er Zaubersprüche aus, die er eigentlich noch nicht beherrschen konnte.
Zu genau diesem Zeitpunkt lugte Mehmets kleine Schwester Matilda durch den Türspalt und erwischte ihren großen Bruder beim Zaubern. Sie befürchtete, dass er unerlaubt einen Zauber anwendete, den er nicht stoppen konnte. Vor Angst zitternd und mit bebender Stimme rief sie: „Mehmet! Was machst du da?!“ und ergänzte ermahnend: „Hör auf damit oder ich verpetze dich, wenn der Meister wieder da ist! Der Meister hatte gesagt: Du darfst nicht zaubern!“ Bockig verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und runzelte wütend die Stirn. Mehmet überlegte lange und schlug Matilda vor, dass er ihr acht Tafeln Schokolade zaubern würde, wenn sie verspricht, kein Wort zu erzählen.
Matilda grübelte eine Minute, die Mehmet wie eine Ewigkeit vorkam. Zu Mehmets großer Enttäuschung forderte Matilda unverschämt fünfzehn riesige Schokoladentafeln und eine große Bonbontüte. Seufzend und genervt stimmte Mehmet Matildas Vorschlag zu, weil er unbedingt ohne Aufsicht zaubern möchte.
Heimlich murmelte er aber vor sich hin: „Ene, Mene, Sonnenschein! Du wirst jetzt ein kleines Schwein!“ Enttäuscht bemerkte der Zauberlehrling Mehmet, dass seine Zauberkräfte noch zu schwach waren, Matilda sah ganz genau so aus wie vorher auch. Matilda lief vor Wut rot an und konnte es nicht erwarten, Mehmet endlich zu verpetzten, also wartete Matilda vor der Hütte auf den Meister.
Währenddessen probierte Mehmet weitere Zaubersprüche aus. Sein größter Wunsch war es, den Besen zu verzaubern, damit der Besen das Wasser aus dem Brunnen holt, weil der Zauberlehrling selbst zu faul war. „Qualle, Qualle, falle, falle, hol mir Wasser aus der Halle!“, flüsterte er unsicher.
Plötzlich zuckte der Besen mehrmals auf und bewegte sich in Richtung Brunnen. Vor Freude sprang Mehmet in die Luft, denn er konnte kaum glauben, dass der Besen tatsächlich Wasser holt. Entspannt setzte sich Mehmet auf das Sofa, genoß den Anblick des arbeitenden Besens und schloß erschöpft, eigentlich nur für einen kurzen Moment, seine Augen. Als er seine Augen wieder öffnete, konnte er kaum glauben, was er sah. „Oh nein!“, rief der kleine Zauberer entsetzt. Die ganze Küche stand unter Wasser. Sein Herz blieb kurz stehen, als er das Unglück bemerkt. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen stellte er fest, dass sein Zauberspruch ganz schön in die Hose gegangen war. Das Herz hämmerte in seiner Brust, als er realisierte, dass er den Gegenzauber nicht kannte. Bitterlich fing der Zauberlehrling an zu weinen.
In diesem Moment riss Matilda die Tür auf und das ganze Wasser floss sofort aus der Tür. Das Wasser hatte so eine Kraft, dass Matilda ihr Gleichgewicht fast verlor und sich nur schwer auf den Beinen halten konnte. Hinter Matilda erblickte der Zauberlehrling auf einmal den grimmig blickenden Meister, der mit geschocktem Blick schweigend seinen Lehrling anschaute. Tief enttäuscht murmelte der Meister den Gegenzauber: „Summen, summen, Wasser zurück in den Brunnen!“. Das Wasser gehorchte und floß zurück in den Brunnen. Der Besen krachte sofort zurück in die Ecke.
Ein Stein fiel Mehmet vor Erleichterung vom Herzen. Er kam aber gar nicht dazu, sich zu erklären, denn der Meister rief laut: „Mehmet!!! Ab auf dein Zimmer!!! Du hast zwei Monate Hausarrest und ein Jahr Zauberverbot!“. Mehmets Augen füllten sich mit Tränen. Langsam schlich er sich in sein Zimmer.
Nach einer Weile hörte Mehmet ein zartes Klopfen an der Tür. Matildas kleines Gesicht lugte durch den Türspalt. Voller Mitleid schaut sie Mehmet an. Schweigend legte sie eine Tafel Schokolade auf seinen Schreibtisch. Matildas Geschenk zauberte Mehmet ein Lächeln ins Gesicht und die Strafe des Meisters war gleich nicht mehr ganz so schlimm.